Künstler*innen erobern Schloss und Park Pillnitz
Unter diesem Motto steht die Ausstellungsreihe, mit der die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und die Staatlichen Schlösser, Burgen und Gärten Sachsen in dem ehrwürdigen Kulturdenkmal zu unerwarteten Begegnungen einladen. Auf liebevolle, ironische, provokante, kommentierende oder reflektierende Weise wird in der Konfrontation aus historischem Ort und zeitgenössischer Kunstposition deutlich, wie sehr Geschichte und Gegenwart verbunden sind.
Mit dem Spiel von Innen und Außenraum berührt das Werk „InsideOutside“ von Chiharu Shiota bereits das Thema, auf das weitere Arbeiten aus der Schenkung Sammlung Hoffmann im Schloss und Park Pillnitz reagieren. Die einzelnen Positionen hinterfragen die Zuordnungen von Innen und Außen, von persönlichem und öffentlichem Raum, von Betrachtenden und Betrachtetem.
1. Wasserpalais, Hauptsaal
Die Bestandteile für die große Installation „Inside-Outside“ sammelte Chiharu Shiota (*1972) auf Baustellen im Osten Berlins. In Osaka in Japan geboren, lebt die Künstlerin bereits seit den späten 1990er-Jahren in Berlin. Die hier zu einer neuen, fantastischen Architektur verbauten alten Fenster aus Holz wurden in der Nachwendezeit massenweise gegen Kunststoffrahmen ersetzt; ein Zeichen von Aufschwung und Modernisierung. Als Sinnbild durchlässiger Grenzen zwischen Innen- und Außenraum wirken sie wie Zeugen für das Leben, das sie einst umgaben. Dabei verwischt die offene, begehbare Installation die Zuordnung von Innen und Außen, von persönlichem und öffentlichem Raum, von Betrachtenden und Betrachtetem. Im barocken Hauptsaal des Wasserpalais korrespondiert das zeitgenössische Werk nicht nur mit der historischen architektonischen Anlage dieses Gebäudekomplexes, dessen Fensterfront den Blick auf die dahinter fließende Elbe freigibt und inszeniert. Es verweist zudem auf das Wechselspiel von Natur und Kultur als eines der gestalterischen Leitprinzipien der komplexen Parkanlage.
2. Bergpalais, Hauptsaal
Die Arbeit der als glänzendes Feld ausgelegten Bonbons „Untitled“ (Placebo – Landscape – For Roni)“ gehört zu den sogenannten „Candy Works“ des Künstlers Felix Gonzalez-Torres (1957-1996). Sie wirken im Zusammenspiel mit dem prunkvollen Raum wie eine zeitgenössische Antwort auf den barocken Überfluss. Doch zugleich brechen sie die Attitüde des Höfischen und Elitären: Denn die Bonbons dürfen gegessen werden. Der Aspekt der Teilhabe ist für Gonzalez-Torres zentral. So vollendet sich sein Werk in seinem Verschwinden, genauer in seiner Einverleibung durch unzählige Besucher*innen. Im hiesigen Kontext reagiert die Installation auf die einst höfischen Räume und versinnbildlicht die barocke Bildsprache von Pracht und Vergänglichkeit.
3. Neues Palais, Kuppelsaal
Mit ihrer soliden Skulptur aus Glas gelingt es Roni Horn (*1955) der Wandelbarkeit eine künstlerische Form zu geben. Das Werk gibt uns Anlass über Beständigkeit und Vergänglichkeit nachzudenken. Transparent und spiegelnd zugleich, spielt „Deeps and Skies“ mit den Dualitäten von Schwere und Leichtigkeit, Festigkeit und Flüssigkeit, Innen und Außen. Während das Werk im Inneren den Blick auf eine scheinbar endlose Tiefe preisgibt, erlaubt es zugleich, das Kuppelgewölbe des Saals und das Wolkenspiel hoch oben zu betrachten. Wie augenscheinlich die Oberfläche eines Gewässers, wandelt sich die Erscheinung des Werks abhängig von den natürlichen Lichtverhältnissen und der Position der Betrachter*innen im Raum. In Nachbarschaft zur Elbe, wird das Werk um eine Audioarbeit Roni Horns ergänzt. In dem einstündigen Monolog „Saying Water“, den sie über die Themse in London schrieb, fordert die Künstlerin uns dazu auf, unsere eigene Beziehung zur Natur des Wassers zu befragen und entwickelt dabei ein kraftvolles Vokabular über die universellen Eigenschaften des Wassers, dessen physische, sinnliche, unergründliche und manchmal verlockend bedrohliche Eigenschaften.
4. Palmenhaus
In einem endlosen Fluss immenser Jahreszahlen, erlaubt uns On Kawara (1933-2014) in der Abgeschlossenheit des Palmenhauses über Zeitlosigkeit und Unendlichkeit zu meditieren. Der zu hörenden Lesung liegen seine Chroniken „One Million Years (Past + Future)“ zugrunde: auf Schreibmaschine geschriebene Buchbände, die die Jahreszahlen von 998031 v. Chr. bis 1001995 n. Chr. enthalten. Der mit jeder monoton vorgetragenen Jahreszahl aufs Neue unternommene Versuch, Zeit chronologisch zu ordnen, zu objektivieren und als Maßstab unserer Existenz messbar zu machen, scheitert jedoch an der Relativität der menschlichen Beziehung zu der Zeit. Während ein Jahrhundert in wenigen Minuten an uns vorbeizieht und der kaum mögliche Gedanken auf eine Million Jahre Vergangenheit und eine Million Jahre Zukunft gerichtet ist, unterstreicht das Werk den abstrakten Charakter von Zeit und lässt Relationen von Historie schwinden.
5. Palmenhaus
Eine glasklare, perfekt anmutende Kugel liegt auf einem flachen Podest. Sie wirkt wie aus Glas oder Kristall, doch sie ist aus Eis; sie schmilzt und vergeht. Marijke van Warmerdam (*1959) beschäftigt sich in ihren Werken mit einfachen Dingen und deren Beobachtung. Sie ist vor allem für ihre kurzen Filme bekannt, die in Dauerschleife oft eine unerwartete Perspektive auf die Schönheit von Kleinigkeiten des Lebens liefern. Mit der Arbeit „Eiskugel“ verhält es sich ähnlich. Das Werk verändert sich unablässig. Dennoch sind Geduld und Aufmerksamkeit vonnöten, um diese stetige Wandlung wahrzunehmen. Im Zusammenklang mit dem Palmenhaus als einer Kapsel mit eigenen klimatischen Bedingungen adressiert van Warmerdams „Eiskugel“ Fragen nach Nachhaltigkeit, Aufwand und Vergeudung, Mittel und Zweck, in deutlicher und zugleich vielschichtiger Weise.
6. Englischer Pavillon
In seinen Arbeiten erklärt Richard Long (*1945) Naturbeobachtungen, die er auf seinen Wanderungen gemacht hat, zur Kunst. So wandert er tage- und wochenlang durch Landschaften und stellt sich Aufgaben, wie zum Beispiel das Verfolgen eines Flussufers oder das Aufheben und Ablegen von Steinen in bestimmten Abständen entlang seines Weges. Damit erweitert er sein skulpturales Schaffen um Aspekte der Performance- und Konzeptkunst. Wie in „Small Napoli Spiral“ verwendet er Kreis- und Spiralformen, die er mit natürlichen Materialien wie Stein oder Lehm formt. Die Skulptur ist kein Versuch einer Darstellung der Natur, sondern ist ein ästhetisches Dokument von Longs Auseinandersetzung mit der Natur und eine poetische Beschwörung von deren Schönheit und Erhabenheit, wie sie in der Zurückgezogenheit des Englischen Pavillons Anklang findet.
In der Reflexion der künstlerischen Arbeiten schärft sich der Blick und fällt erneut auf das vermeintlich Bekannte. Erstaunlich, wie sich dadurch neue Blickwinkel einnehmen lassen und ein vertrauter Ort mit Überraschungen aufwartet. »Artists‘ Conquest« will neue Sicht und Denkweisen eröffnen und eingeübte hinterfragen. Kunst und Kultur beflügeln zu diesem Zauber.
Ausstellungszeitraum: 28. Juli bis 31. Oktober 2022 in allen drei Palais von Schloss Pillnitz
Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen von 10 bis 17 Uhr | im Tagesticket »Schloss und Park Pillnitz« inbegriffen